Der _* Parcours des sexualisierten Deutsch
Lieber Leser,
womöglich bist Du weiblich – aber ehrlich gesagt, in meiner Vorstellung von Dir spielt das hier keine Rolle. Oder genauer gesagt: es wäre abhängig vom Thema und der Art unserer Interaktion. Da, wo das biologische Geschlecht nichts zur Sache tut und ich mich nicht persönlich an jemanden wende, verwende ich daher das “generische Maskulinum”, das in unserer Sprache seit jeher vor allen Dingen im Plural auf Menschen beiderlei Geschlechts verweist. Wenn ich also nicht explizit hervorheben will, dass es sich um weibliche Polizistinnen, Lehrerinnen, Politikerinnen handelt, dann tut’s für mich wie eh und je die männliche Form – und das aus dreierlei Grund. Aber zunächst zur Gegenposition:
Die These, dass es einen Wirkungszusammenhang zwischen dem grammatischen Genus und den gesellschaftlichenVerhältnissen zwischen den biologischen Geschlechtern gebe, ist eine Idee, die ihren Ursprung im (westlichen) Feminismus der späten 1960er / frühen 1970er Jahre hat. Was immer man von planen Strukturanalogien zwischen Körpern und Symbolen halten mag: sie standen damals im Gefolge der Lektüren von Lacan, Foucault und Deleuze hoch im Kurs. Wer sich diesem zeitgeistlichen Phänomen weiter annähern möchte, dem sei z.B. die Lektüre von Luce Irigarays “Wenn unsere Lippen sich sprechen” (franz. Original in „Ce sexe qui n’en est past un“. Collection ‚critique‘, les Editions de minuit; Paris, 1977) und der ZEIT-Artikel “Frau-sprechen” von Manuela Reichart von 1977 empfohlen.
Diese Idee, dass der Sprache selbst ein das weibliche Geschlecht systemisch unterdrückender Phallo- und Logozentrismus innewohne, wird im Gefolge der Theorien der französischen Strukturalistinnen dann schon bald linguistisch durchdekliniert. In dieser Tradition stehen die feministische Sprachkritik, die feministischen Gender Studies wie die wiederholten Bemühungen, den Sprachgebrauch aktiv dergestalt zu normieren, dass es zu keiner Rückkoppelung zwischen ungerechtem Sprechen, ungerechtem Denken und ungerechtem Handeln kommen kann. Abstrakter gesagt und positiv formuliert: Der überkommene Sprachgebrauch soll so gewandelt werden, dass das Symbolsystem und dessen Praxis auch auf der Strukturebene unseren gewandelten Vorstellungen davon entspricht, wie eine gerecht organisierte menschliche Gesellschaft aufgebaut ist. Und da das eine Gesellschaft sein müßte, in der Chancengleichheit zwischen den biologischen Geschlechtern die Norm ist, will man auch eine sprachliche Chancengleichheit herstellen.
Während jedoch die Vordenkerinnen des französischen Strukturalismus in ihrer Sprachkritik noch mit philosophischem Tiefgang und auf hohem Abstraktionsniveau argumentieren und so eine strukturell angelegte Ungleichheit und Benachteiligung des Weiblichen als Denk- und Erfahrungsform ausmachen, verengt sich in der deutschen Debatte der Fokus frühzeitig auf das Vordergründige und Vordergründigste: das grammatische Genus “der Mann / die Frau” ist als generische Bezeichnung zwar OK, weil hier ja Genus und Sexus offenkundig deckungsgleich sind – aber “der Arzt/der Student” als Tätigkeitsbezeichnungen sind es, so das Argument, nicht, denn die Verwendung des Maskulinum als Genus eines generischen Begriffes suggeriert und verfestigt angeblich die Idee, dass alle Ärzte, Piloten, Busfahrer usw. Männer sind oder sein sollten.
Um der behaupteten Fortschreibung gesellschaftlicher Benachteiligung der Frau qua grammatischem Genus zu begegnen wurden und werden drei Gegenstrategien propagiert. Die erste lautet: Befriedung des (postulierten) sprachlichen Geschlechterkampfes – also z.B. weg mit dem ‘man’, das ja nur ein verdecktes ‘MANN’ ist und her mit dem ‘mensch’. Die zweite ist die einer offensiven feministischen Sprachkritik – weg mit ‘man’ und her mit ‘frau’. Und die vorerst letzte Blüte, die dieses Unterfangen hierzulande getrieben hat, trägt mittlerweile den Namen “geschlechtergerechte Amtssprache” -wer ihrem Anspruch gerecht werden will, darf nicht mehr von Studenten oder Studentinnen reden, sondern nur noch von “Studierenden.” (Womit dann vermeintlich auch gleich die neue Kategorie “divers” in die Grammatik Einzug hält.)
Ich halte alle drei Strategien für unsinnig – und ja, zum Teil auch für verlogen. Warum?
Erstens: Der ideologie- und sprachkritische Ansatz ist germano-franko-zentrisch. Er ignoriert die Tatsache, dass auch in den meisten Gesellschaften, deren Sprachen das Genus eine fremde Vorstellung ist, es sowohl zwei biologische Menschengeschlechter (und eine kleinere Zahl von Menschen, die keinem dieser beiden zugerechnet werden wollen) wie ein eklatantes Mißverhältnisse in der Verteilung von Ansehen, Einfluss und Macht zwischen beiden gibt. Aber: es gibt keine empirische Evidenz für eine Korrelation zwischen grammatischem Genus und sozialer Realität – weder positiv, noch negativ. Und es gibt auch keine Evidenz für eine Korrelation zwischen dem grammatischen Genus und unserer kollektiven Imagination von der Struktur der sozialen Realität. In letzter Konsequenz (Achtung, jetzt wird’s logozentrisch) nämlich hieße dies anzunehmen, dass wir heutzutage einen größeren Anteil männlicher “Flugbegleiter” (recte: “Flugbegleitenden”) möglicherweise ja deshalb hätten, weil wir nicht mehr von “Stewardessen” reden, oder dass mehr junge Männer den Beruf des Erziehers (recte: des “Erziehenden”) ergreifen, weil der alte Terminus “Kindergärtnerin” out ist und ihnen die neue Sprachnorm überhaupt erst die Möglichkeit eröffnet hat, sich eine Berufstätigkeit in diesem Bereich vorzustellen.
Man kann da nur an den alten Marx erinnern und rufen: Umgekehrt wird ein Schuh draus – das Sein bestimmt das Bewusstsein! Selbstverständlich, die Sprache kann auch auf der Strukturebene soziale Realität spiegeln – aber sie tut das wenn überhaupt nur sehr indirekt und mit einer großen historischen Verzögerung. Viel wirkungsmächtiger und gefährlicher ist da, was an der Oberfläche passiert und sich z.B. in der Wortwahl, der Rhetorik und der Metaphorik niederschlägt. Über die Geisteshaltung von jemandem, der Ausländer “Kanaken” nennt, braucht man gewiss nicht lange zu spekulieren. Aber zu unterstellen, dass jede, die “Professor” sagt, sich aufgrund der Maskulinendung des Nomens notwendig einen Menschen vorstellt, der Träger eines Phallus’ ist, ist eine naive Hypothese; hier wird aus Genus Sexus. Es mag gewiß bedauerliche Individuen und auch Gruppen geben, die so ticken – aber die Sprache gehört letztlich uns allen; wir regulieren und verändern ihre Bedeutung nicht durch den Duden, sondern durch unsere Praxis mit ihr, und mehr noch durch die gesellschaftliche Realität, in die wir sie einbetten. Der “primary use case” für die Sprache bleibt insofern die Kommunikation mit anderen – und insofern steckt in dem Postulat von der direkten Rückkoppelung der Struktur des Symbolsystems ‘Sprache’ auf das Realsystem ‘Gesellschaft’ eine gehörige Portion Deutscher Idealismus.
Zweitens: Die Debatte um die flächendeckende Abschaffung des generischen Maskulinums ist paradox, denn sie sexualisiert die Sprache ohne Not. Da wo ich arbeite, in einer geisteswissenschaftlichen Fakultät, sind Männer in allen Bereichen und Statusgruppen numerisch deutlich in der Minderheit: unter den Studenten, unter den wissenschaftlichen Mitarbeitern, unter den Professoren, in der Verwaltung. Das verdanken wir nicht der Abschaffung des generischen Maskulinums, sondern politischem Handeln. Zu behaupten, die fortgeführte Verwendung des maskulinen Genus entspringe dem Wunsch, die faktisch unvorhandene Dominanz von Männern über Frauen in diesem Berufs- und Arbeitsfeld fortzuschreiben und sich als Sprecher der gewandelten gesellschaftlichen Realität zu verweigern, ist als Hypothese zwar möglich, aber erheblich voraussetzungshafter als die ebenfalls mögliche, dass wir es aus Bequemlichkeit oder Gründen der sprachlichen Ökonomie beim Gewohnten belassen wollen. Sie basiert auf einer moralischen Unterstellung, die ein Paradebeispiel für inverse discrimination und die Logik des double bind liefert.
Zu betonen ist allerdings: unsere Sprachpraxis ist “kontextsensitiv”. Die Verhältnisse liegen andernorts anders, und es ist nachvollziehbar, wenn in solchen Kontexten dem Genus von Berufsbezeichnungen mit gutem Grund auch ein symbolischer Wert beigemessen wird. So würde niemand Frau Merkel als “der Bundeskanzler” bezeichnen (auch wenn sie im Englischen weiterhin ‘Chancellor Merkel’ ist – es gibt keine ‘Chancelloresse’, aber in der direkten Anrede eine ‘Madame Chancellor’). Und wer es für ein Zeichen gesellschaftlichen Fortschritts hält, dass es mittlerweile auch Soldatinnen gibt, dem sei meinetwegen auch das Insistieren auf geschlechtsspezifischer Referenz gegönnt: “Fünfzehn deutsche SoldatInnen wurden in Afghanistan Opfer eines Angriffs.” Aber die Markierung erledigt sich spätestens dann, wenn das Merkmal ‘biologisches Geschlecht’ im Reden über die Welt keine sinnvolle, thematisch relevante Differenzierung mehr leistet. Dann haben wir wieder die freie Wahl zwischen der/die/das Soldat_in.
Womit ich bei Drittens angelangt wäre: den Formen einer ‘non-diskriminierenden’ Redeweise, die uns als politically correct vorgeschlagen werden. Es sind im Kern zwei Varianten:
(1) Die der Doppelmarkierung
die/der AmazonIng bzw. der/die Formel-eins-Fahrer_in bzw. der/die Aktivist*in
oder
(2) die der konsequenten Neutralisierung durch Verwendung des Partizips
die/der Tagesschausprechende
Die erste Variante der ersten Variante (1) ist, wie ich mir habe sagen lassen, radikaleren Feministinnen und Genderkritikern nun wiederum aufgrund des angeblich phallischen “I” oder “i” suspekt. Sollte man es deshalb vielleicht besser durch ein “Y” ersetzen? – Man sieht an diesem Beispiel, wohin es führen kann, wenn man einen absurden Gedanken wirklich Ernst nimmt. Wer jedes Symbol konsequent als Icon/Index (sensu Peirce) – d.h.: das arbiträre Schriftzeichen “i” als assoziativ zu deutendes ‘Anzeichen’ eines außersprachlichen Gegenstandes oder Vorgangs – deutet, muss sich dann wohl auch fragen lassen, ob es wirklich besser ist, wenn wir uns statt mit einem phallisch aufrechten ausgerechnet mit einem Strich am Zeilenboden – dem sog. gender gap – behelfen, um die Geschlechterendungen im Schriftbild ideologisch zu separieren, aber orthographisch zusammenzuleimen. Und was das * angeht – das war doch eigentlich bereits für Anmerkungen und Fußnoten reserviert, also zur Markierung einer Referenz, die uns aus dem Haupttext heraus in einen ergänzenden Nebentext weisen will. Ein Nebentext, dessen Inhalt in diesem Fall jedoch redundant ist, weil seine Semantik sich in dem immergleichen Appell erschöpft, das Offensichtliche zu denken: es gibt (mindestens) zwei biologische Geschlechter.
Damit zur zweiten Variante (2). Ich weiß nicht, wer sich das ausgedacht hat, aber eines weiß ich: Über die sprachphilosophischen Implikationen dieses Vorschlags ist noch nicht hinreichend nachgedacht worden. Er nämlich setzt voraus, dass man in seiner Vorstellung aus einem menschlichen Subjekt, dessen aktuelle Tätigkeit nur eines unter vielen möglichen Merkmalen ist, die Menschen charakterisieren, eine Maschine macht, die ausschließlich und vollkommen durch die Kennzeichnung der von ihr ausgeübten Funktion beschreibbar ist. Über Menschen in der Partizipform zu reden bedeutet insofern, sie zu eindimensionalen Funktionsausübenden zu reduzieren. Aus Studenten werden Studierende, aus Professoren Lehrende, aus Fussballspielern Fussballspielende. Sie alle tuen nichts anderes, und sie interessieren uns auch nicht, und deshalb wollen wir sie uns auch lieber als möglicherweise komplexe, widerständige Wesen vom Sprachleibe halten, um genderclean zu bleiben. Nein: Was hier zur Norm erhoben wird, ist eine eklatante sprachliche Dehumanisierung, die meinetwegen Juristen – pardon: Rechtschaffende? – sinnvoll finden mögen. Ihr als Germanist das Wort zu reden wäre jedoch unverzeihlich.
Und deshalb, lieber Leser, mein Credo: ich bleib’ beim generischen Maskulinum. Und wer Zweifel an meiner Gesinnung hat, dem sei gesagt: Ich kann Ihnen das Faktum nicht ersparen – ich mein’ es anders, als Sie es auffassen wollen. Irgendwie inklusiv, transsexuell, im Vertrauen auf den common sense und die gegenseitige Achtung der Geschlechter (“Liebe Zuhörer, im Hintergrund läuft jetzt gerade Frauen dieser Welt von den Toten Hosen, gesungen von Funny van Dannen”).
Oder altmodisch und präzise gesagt: Im Vertrauen auf den guten sprachlichen wie menschlichen Anstand.
PS: Vergleichbar argumentiert in seinem Artikel in Die Welt vom 17.12.2018 mit dem Titel “Genus ist nicht sexus” auch Richard Schröder. Er verweist darin u.a. auf folgenden sprachgeschichtlichen Befund: “Wo es in unserer Sprache auf den Unterschied des sexus besonders ankommt, wird von alters her gar nicht die Nachsilbe -in gebraucht, sondern es werden Wörter mit anderem Stamm verwendet: Mann und Frau, nicht Männin; Bruder und Schwester, nicht Bruderin, Sohn und Tochter, nicht Sohnin. Und so geht es bei den Haustieren weiter: Hengst und Stute, nicht Hengstin, Bulle und Kuh, nicht Bullin.” Und Schröders Fazit fällt analog zu dem meinigen aus: “Die Idee, durch Änderung des Sprachgebrauchs reale Machtverhältnisse ändern zu können, ist eine Schnapsidee. Man kann sich das alles sparen und auf echte gleichberechtigte kollegiale Anerkennung im Alltag hinarbeiten, egal, ob auf Formularen als Beruf Arzt oder Ärztin angegeben wird – statt Schein- und Ersatzkämpfe als Sprachtyrannei zu führen mit Sternchen und anderen Zeichen, die nicht gesprochen, sondern nur geschrieben werden.”